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Sure 60: die Geprüfte   (übersetzt von Monalisa)

Die medinensische Sure 60 erfordert eine Untersuchung der überaus wichtigen, jedoch völlig übersehenen Frage nach dem Kontext von Aussagen, die anders verstanden werden können als sie gemeint waren. Man bedenke die Äußerungen [des damaligen] Präsidenten Bush und Karen Hughes, seiner früheren Staatssekretärin für Öffentlichkeitsarbeit und öffentliche Angelegenheiten, anlässlich des islamischen Opferfestes, Eid al-Adha, zum Ende der Hadsch und im Gedenken an Abrahams Bereitschaft seinen Sohn zu opfern.

Im Dezember 2006 veröffentlichte George W. Bush eine Grußbotschaft, in der es im Auszug hieß:
"Für Moslems in Amerika und überall auf der Welt ist das Opferfest eine wichtige Gelegenheit, Dankbarkeit für ihre Segnungen zu zeigen und an Abrahams Vertrauen in einen liebenden Gott zu erinnern. Während der vier Tage besonderer Frömmigkeit ehren Moslems Abrahams vorbildliche Opferbereitschaft und Hingabe zu Gott, indem sie mit Freunden und Familie feiern, Geschenke und Glückwünsche austauschen und Gott durch Opfer und Spenden dienen."

Und im Januar zuvor sagte Hughes:
Eid ist das Fest der Hingabe und des Gehorsams zu Gott und auch die Feier seiner Barmherzigkeit und Fürsorge für uns alle. Es ist eine Zeit der Familie und Gemeinschaft, eine Zeit der Wohltätigkeit…Ich möchte Ihnen eine Botschaft von Präsident Bush vorlesen: „Ich sende meine Grüße an alle Moslems in der Welt, die zu dieser Zeit Eid Al-Adha begehen. Als Gott Abraham aufforderte seinen Sohn zu opfern, setzte Abraham seinen Glauben in Gott über alles andere. Anlässlich des Opferfestes feiern Moslems Abrahams Hingabe und erweisen Gott ihren Dank für seine Barmherzigkeit und vielfachen Segnungen.“

In den Passagen über Abraham, selbst im Kontext von Eid al-Adha, dachten Bush und Hughes wahrscheinlich an Genesis 22:15-18, wo Abraham als Lohn für seinen Glauben versprochen wird, ein Segen für die Völker zu werden: “Und durch deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, darum dass du meiner Stimme gehorcht hast.” Doch die von Bush und Hughes adressierten Moslems lesen nicht in Genesis. Sie lesen im Koran. Abrahams Bereitschaft seinen Sohn zu opfern (der nicht namentlich erwähnt wird) wird in Sure 37:102-109 und in Sure 60 beschrieben. Allah sagt, dass Abraham ein „ausgezeichnetes Beispiel“ (uswa hasana, eine Formulierung, die auch für Mohammed in Sure 33:21 gebraucht wird) für die Gläubigen ist, als er seiner heidnischen Familie und seinem Stamm erklärt: „Und zwischen uns und euch sind Feindschaft und Hass auf immer sichtbar geworden, bis ihr an Gott allein glaubt“ (Vers 4). Im selben Vers heißt es weiter, dass Abraham eben kein ausgezeichnetes Beispiel war, als er zu seinem Vater sagte: „»Ich werde für dich um Vergebung bitten.“ Hass wird zum Vorbild erhoben, Vergebung wird ausdrücklich als nicht vorbildlich erklärt.

Bush und Hughes bekräftigen daher eine Weltsicht, in der ewige Feindschaft mit und Hass auf Nichtmoslems eine Selbstverständlichkeit sind – und das gerade zu einer Gelegenheit, wo sie bemüht sind, Brücken zwischen Moslems und Nichtmoslems zu bauen. Das zeigt wieder, von welch entscheidender Bedeutung es ist, ein detailliertes Verständnis des theologischen und kulturellen Bezugsrahmens sowohl von Jihadisten als auch Moslems generell zu haben. In Ermangelung dessen werden Statements verfasst, die man hätte sorgfältiger formulieren können und sollen, doch taktische Fehler dieser Art sind nach wie vor häufig.

Gemäß islamischer Tradition ist diese Sure offenbart worden, nachdem Mohammed und die Moslems aufgebrochen waren, Mekka zu erobern und ein Moslem namens Hatib bin Abi Balta’ah die Mekkaner über den bevorstehenden Angriff benachrichtigt hatte, weil er Verwandte in Mekka hatte. Hatib bin Abi Balta’ah war ein Veteran aus der Schlacht bei Badr, weswegen Mohammed Umar nicht die Erlaubnis erteilte, ihn zu köpfen, sondern sprach:
"Er war in Badr dabei. Was soll ich Dir sagen, vielleicht schaut Allah auf alle Kämpfer bei Badr und sagt ‚O Leute von Badr, tut was Euch gefällt, denn ich habe Euch vergeben.’" Doch dann empfing Mohammed diese Sure, welche Hatib eine Lektion erteilt, weil er sich die Feinde Allahs zu Freunden genommen hatte (Vers 1) und ihm erklärt, dass ihm seine Verwandten am Tag des Gerichts nicht werden helfen können (Vers 3). Er und Muslime im Allgemeinen sollten sich ein Beispiel an Abrahams Hass auf seine Verwandten nehmen und nicht an seiner Bereitschaft zu vergeben (Vers 4).

Trotzdem stellt Allah in Aussicht, dass sich die Moslems und die Kuraisch eines Tages versöhnen könnten (Vers 7) und teilt den Moslems mit, dass es ihnen nicht verboten ist, freundlichen Umgang mit denjenigen Kuraisch zu pflegen, die nicht im Kampf gegen sie angetreten sind (Vers 8) – „das sind“, so Ibn Kathir „diejenigen, die bei der Vertreibung nicht beteiligt waren,“ bei der Vertreibung der Moslems aus Mekka. Doch dürfen sie keine Freundschaft mit jenen haben, von denen sie bekämpft worden sind (Vers 9). Dieser Abschnitt wird von Jihadisten heute herangezogen, um den, in ihren Worten, Verteidigungs-Jihad gegen die USA zu rechtfertigen, die in ihren Augen gegen Moslems kämpfen.

Im Weiteren geht es um den Vertrag von Hudaybiyya, den Mohammed im Jahre 628 unter ungünstigen Bedingungen mit den heidnischen Mekkanern geschlossen hatte. Mohammed hatte seine Männer schockiert, durch sein Einverständnis mit Bedingungen, die den Moslems äußerst nachteilig erschienen. Diejenigen, die vor den Kuraisch flöhen und Zuflucht bei den Moslems suchten, hieß es auszuliefern, während diejenigen, die den Moslems entliefen und bei den Kuraisch Zuflucht suchten, nicht zurückgebracht würden. Doch nach Ibn Ishaq weigerte sich Mohammed, als eine Frau der Kuraisch, Umm Kulthum, sich den Moslems in Medina anschloss, diese herauszugeben, als ihre zwei Brüder kamen und ihren Anspruch gemäß dem Vertrag geltend machten. Allah hatte ihm dieses durch eine neue Offenbarung verboten, die besagte, dass moslemische Flüchtlinge nicht zu denen zurück gebracht werden dürften, vor denen sie geflohen waren – eine Offenbarung, die in den Versen 10-13 verewigt wurde. Durch die Weigerung Umm Kulthum zu den Kuraisch zurückzusenden wurde der Vertrag durch Mohammed gebrochen. Obwohl moslemische Apologeten im Laufe der Geschichte immer wieder behauptet haben, dass die Kuraisch ihn zuerst gebrochen hätten, geht dieser Vorfall der Reihe der Vertragsverletzungen durch die Kuraisch voraus, auf die die Moslems ihrerseits verweisen.

Ein moslemischer Biograph Mohammeds, Yahiya Emerick, versichert, dass Mohammed sich in diesem Fall auf juristische Haarspalterei berufen konnte: denn im Vertrag war festgelegt worden, dass die Moslems jeden Mann an die Kuraisch zurücksenden würden, aber nicht jede Frau. Selbst wenn das wahr sein sollte, nahm Mohammed bald schon Männer der Kuraisch auf – wie Emerick einräumt – und brach den Vertrag somit endgültig.

Dieser Vertragsbruch bestätigte das Prinzip, dass nichts von Wert ist, was keinen Nutzen für den Islam hat und nichts schlecht ist, außer es hindert den Islam. Sobald der Vertrag offiziell aufgekündigt worden war, verkündeten islamische Rechtsgelehrte, dass Vereinbarungen auf Waffenruhe generell auf längstens zehn Jahre befristet sein müssten und dass sie nur mit dem Ziel eingegangen werden dürften, geschwächten moslemischen Truppen die Gelegenheit zur Stärkung zu geben, um den Kampf erfolgreicher wieder aufnehmen zu können.

Diese Richtlinie ist ungemein bedeutend, was die heutige geopolitische Lage angeht, wann immer und wo immer das Außenministerium oder eine andere nichtmoslemische politische Institution Bereitschaft zeigt, einen Vertrag mit einer moslemischen Gruppierung einzugehen, die sich erklärtermaßen an traditionellen islamischen Prinzipien orientiert – wie etwa die Hamas und die "Moro Islamic Liberation Front" auf den Philippinen, mit denen die Philippinische Regierung sich um eine Einigung bemüht. Doch so wichtig dieses Prinzip ist, es wird weltweit ignoriert.



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Englischer Original-Artikel:
        BLOGGING THE QUR'AN, Blogging the Qur’an: Sura 60, “She Who Is Tested”

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        Adel Th. Khoury, ISBN alt: 3579080245, ISBN neu: 978-3579080246
        Rudi Paret, ISBN alt: 3170198297, ISBN neu: 978-3170198296

Online existieren n.a. folgende deutschsprachige Nachschlagemöglichkeiten:
        theology.de
        Saudisches Dawa-Ministerium
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